Wart ihr auch schon da? Schon kurz nach seiner Eröffnung ist der Shop von Judith Grünewald und Gizem Bulut nicht nur ein richtiger Kundenmagnet, sondern auch sozialer Treffpunkt für viele, die diese Welt durch den eigenen verantwortungsvollen Umgang von Ressourcen ein bisschen besser machen möchten. Der Laden an der Annakirchstraße ist in.
Am Anfang war die Namensfindung. „Viel Mehr beschreibt den Ansatz, dass man keinerlei Lebensqualität einbüßen muss, um etwas für sein persönlich nachhaltiges Leben tun zu können“, beschreibt Judith Grünewald das Geschäftsmodell des Ladens. Eröffnet hat sie den Shop am 4. Dezember 2019 gemeinsam mit ihrer Partnerin Gizem Bulut an der Annakirchstraße in Windberg. Die beiden Gründerinnen vertreiben Lebensmittel, Kosmetik-, Reinigungs- und weitere Haushaltsartikel und präsentieren alles auf einer stylisch eingerichteten Ladenfläche mit viel Holz, mattiertem schwarzen Stahl und überraschenden Lichteffekten.
Müll ist erst dann Müll, wenn er weggeworfen wird.“
Gizem Bulut, Mitgründerin von viel Mehr
An diesem Wohlfühlort ist sämtlichen Artikeln gemein, dass sie anfallenden Müll vermeiden, indem sie unverpackt oder in wiederverwendbaren Verpackungen wie Gläsern angeboten werden. Wie das geht? Ganz einfach: Die Kunden bringen ihre eigenen Behälter mit, um sie im Shop selbst zu befüllen. „Wiegen Sie das Gewicht Ihres Behälters auf dieser Waage ab“, nimmt Judith Grünewald eine Neukundin an die Hand: „Wenn Sie sich das Gewicht dann auf dem Behälterboden notieren, wissen Sie bei Ihrem nächsten Einkauf bei uns gleich Bescheid.“ Viel Mehr führt in der aktuellen Einführungsphase noch ein paar Wochen Papiertüten, in die Kunden, die ohne Behälter in den Shop kommen, ihre Ware einpacken können, aber dann stellt man dieses Angebot ein. „Müll ist erst dann Müll, wenn er weggeworfen wird“, sagt Gizem Bulut: „Wer die Verpackungen des Handels ganz ablehnt, leistet einen weiteren persönlichen Beitrag zu einem umweltbewussteren Leben.“
Mit ihrem Konzept scheinen die jungen Frauen den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Um zehn Uhr in der Früh sind bereits fünf Kunden im Shop; ein Paketzulieferer gesellt sich später dazu und hält einen Schwatz auf eine Tasse Espresso. Einige Passanten kommen nach und nach, um mit Judith Grünewald und Gizem Bulut kurz einen Kaffee an der einladenden Theke an der Ladenfensterfront zu trinken. Ob Kunde oder Besucher – der Ort zieht die Menschen an. Von Rentnern bis Menschen in der Mitte ihres Lebens bis zu jungen Müttern, die konventionellen Produkten immer weniger vertrauen, ist alles dabei. „Wir haben sogar schon erlebt, dass Kinder ihre Mütter in den Laden zerren, damit sie ihnen hier etwas kaufen“, schmunzelt Gizem Bulut.
Mehr als 60 abfüllbare Basisprodukte
Einkorn, Gerste geschält, Mais, Chiasamen und Penne aus Vollkorn-Hartweizengries: Mehr als 60 abfüllbare Basisprodukte zählt das Sortiment. Daneben fallen regionale Bio-Obst und -Gemüse auf, dazu Fair-Trade- und Demeter-Säfte, Veggie-Weingummi-Produkte und andere Süßigkeiten, Müslis und Trockenobst, Mehle, Kakaopulver, Füllbeutel, Shampoos, Slip-Einlagen, Küchenpapier, Kugelschreiber aus Kirschholz, Schalen aus Bambus, Wasch- und Spülmittel. Alle Produkte sind abfüllbar oder in recycelbaren Verpackungen zu kaufen und damit eben nicht für die Müllentsorgung vorgesehen.
Viele Produkte locken mit einem Mehrwert: In Form von Rezeptvorschlägen, oder, wie bei den beliebten Heilkräuterauszügen, den Oxymelen, mit Gebrauchsanweisungen. Oxymele sind auf Apfelessig basierende Kräuterauszüge, etwa Kamille, Pfefferminze, Schafgarbe und Wiesenkümmel, die für Wohlbefinden, Linderung von Unpässlichkeiten, inneren Frieden und Ruhe sorgen. Viel Mehr bietet einige Variationen an, die in Wasser oder anderen Getränken aufgelöst für Wirkung sorgen sollen.
„Zurzeit beziehen wir noch alle Produkte direkt von den Zulieferern. Es ist uns eine Herzensangelegenheit, hier insbesondere Produzentinnen zu berücksichtigen. Wir rechnen in absehbarer Zeit aber damit, dass sich Zwischenhändler einschalten. Der Markt ist einfach zu lukrativ“, erklärt Judith Grünewald, die ebenso wie ihre Partnerin unmittelbar nach der Uni den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt hat. Im Vergleich zu Discountern sind die Produkte nicht gerade preiswert, in den Augen der Kunden aber ihren Preis wert. „Wir sind vom Pricing her vergleichbar mit Bio-Märkten“, sagt Judith Grünewald unumwunden.
Die beiden Frauen sind sich darüber im Klaren, dass sie nur einen kleinen Teil dazu beitragen können, umweltbewusstes Verhalten zu kultivieren. Ihre Tipps, mehr für ein nachhaltiges Leben zu tun, schließen daher auch Verhaltensweisen ein, die budgetunabhängig sind:
- Mehr teilen statt besitzen: Werkzeuge, Autos, Fahrräder – all diese Dinge muss nicht jeder sein Eigen nennen, sie können auch auf Leihbasis von mehreren genutzt werden.
- Die App „Too good to go“ verwenden: Dabei werden Lebensmittel, die in den Augen traditioneller Konsumenten nicht schön aussehen, oder die kurz vor dem vorgeschriebenen Mindesthaltbarkeitsdatum stehen, in Paketen gesammelt an private Käufer preiswert ausgeschrieben.
- Ablehnen: Der Konsument hat es in der Hand – wer einzeln verpackte Kekse zum Kaffee in der Gaststätte einfach liegen lässt, leitet irgendwann ein Umdenken beim Produzenten dieser Einzelverpackungen ein. Dasselbe gilt für die Serviette, die zu einer Tasse Kaffee gereicht wird. Bitte nicht benutzen! Lehnen Sie Kassenbons ab, die Ihnen angeboten werden, rät Viel Mehr weiterhin, und: Erklären Sie gleich schon bei der Bestellung Ihres Getränks, dass Sie keinen Plastikstrohhalm wünschen.
- Aufessen: Früher undenkbar, heute Alltag: Im Restaurant wird das Gericht nur halb gegessen vom Kellner abgeräumt und in der Küche vom dortigen Service-Personal entsorgt. Die Lösung für alle, die nicht viel auf einmal essen können: Nehmen Sie gleich zum Restaurantbesuch einen Behälter mit, in den Sie sich den Rest Ihrer bezahlten Mahlzeit verpacken lassen für den nächsten Tag.
Das Leben im 21. Jahrhundert macht es nicht leicht, auf Altgewohntes zu verzichten. Dass es nicht ganz ohne Verpackungen geht, ist den beiden Gründerinnen völlig klar. Ob Medikamente, Kondome oder Papierspender im gewerblich genutzten WC – aus unterschiedlichen Gründen müssen bestimmte Produkte so angeboten bleiben, wie sie nun einmal sind. Selbst der Umstieg vom PKW aufs Rad hat einen Wermutstropfen: „Wir sind Fahrradfahrerinnen, weil wir auf das Auto verzichten wollen. Aber der Abrieb der Radreifen verursacht auch Mikroplastik. Es ist manchmal etwas kompliziert, aber wir bleiben dabei: Es gibt viele Möglichkeiten, nachhaltig zu leben“, sind sich die beiden Ladeninhaberinnen einig.
Viel Mehr
Annakirchstr. 63
41063 Mönchengladbach
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr.
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